Presse

Rechtsanwalt und Notar • Fachanwalt für Steuerrecht
Dr. iur. Klaur-R. Wagner, Wiesbaden


Pflichtlektüre - Was bedeutet das für den Finanzdienstleister?

(Finanzwelt September 2002, Seite 52/53)

K.-R. Wagner Informationsdienste bezeichnen sich gerne als Pflichtlektüre für Anlageberater und Anlagevermittler. Gemeint ist damit anscheinend die Pflicht zum Lesen des darin Publizierten, was die Pflicht zum Abonnement zur Folge hätte. Aber Informationsdienste haben auch selbst Pflichten zu beachten, bei deren Verletzung sie sich nicht nur auf die Grundrechte der Presseund Meinungsfreiheit nicht berufen können, sondern sich sogar schadensersatzpflichtig machen können.

Wenn und soweit Informationsdienste von ihrem Pressefreiheitsgrundrecht Gebrauch machen, ihre Leser zu unterrichten, sind sie zur wahrheitsgemäßen Berichterstattung verpflichtet, was eine Recherche- und Prüfungspflicht mit einschließt und eine Entstellung oder ein Verschweigen von Umständen ausschließt (BVerfG 25.01.1961 - 1 BvR 9/57, BVerfGE 12, 113, 130). Zur Wahrheitspflicht gehört mithin auch - einerlei, ob es sich um Positiv- oder Negativberichterstattungen handelt -, den Leser darüber aufzuklären, wenn ein veröffentlichter Bericht auf Veranlassung Dritter ggf. unter Einflußnahme auf den Inhalt - und/oder ohne eigene sorgfältige Prüfung und Recherche erfolgte. Denn aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG 15.11.1982 - 1 BvR 108, 4381 437/80, BVerfGE 62, 230, 244 und BVerfG 25.01.1984 - 1 BvR 272/81, BVerfGE 66, 116, 139) kann im Umkehrschluss entnommen werden, dass ein Pressefreiheitsrecht auf kritische Berichterstattung dann z.B. nicht besteht, wenn diese im eigenen wirtschaftlichen Interesse erfolgt. Wenn Informationsdienste bei Beeinträchtigung Dritter für den Fall, dass sich Unwahrheiten herausstellen, eigenständigen - und nicht erst auf Intervention durch Betroffene -, und ohne dass es auf Verschulden eines Informationsdienstes bzw. von Redakteuren/Journalisten ankäme, Berichtigungspflichten unterliegen (BVerfG 14.01.1998 - 1 BvR 1861/93, 1864/96, 2073/97, BVerfGE 97, 125, 150), dann folgt daraus auch die Pflicht, erst überhaupt keine Unwahrheiten oder Gerüchte zu verbreiten. Und da auch die Nennung des Namens Betroffener in den Schutzbereich deren grundrechtlich geschützter Persönlichkeitsrechte fällt (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 1 Abs. 1 GG BVerfG 24.03.1998 - 1 BvR 131/96, BVerfG 97, 391, 399), sind unwahre Angriffe oder Gerüchte ins Blaue hinein unter voller Namensnennung nicht vom Pressefreiheitsrecht erfasst und führen zusätzlich zum Eingriff in deren verfassungsrechtlich geschützte Persönlichkeitsrechte.

Informationsdienste haben aber nicht nur aus verfassungsrechtlicher Sicht Pflichten zu beachten. Gerade dort, wo sich Informationsdienste an Anlageberater, Anlagevermittler, Steuerberater und Kapitalanleger an Abonnenten richten, gilt es auch zivilrechtliche Pflichten zu beachten. Wird dagegen verstoßen, kann dies Schadensersatzforderungen durch eigene Abonnenten auslösen. Der BGH beschreibt dies bereits in seiner Entscheidung BGH 08.02.1978 - VIII ZR 20/77, BGHZ 70, 356, 360 f. wie folgt:

"Neben der bloßen aktuellen Information über Wirtschaftslage und Börsengeschehen stellte die "Beratung" für eine möglichst gewinnbringende Kapitalanlage und die Empfehlung für den Ankauf bestimmter ausgesuchter Wertpapiere, die einen raschen Kursanstieg erwarten lassen, einen wesentlichen Teil der von der Beklagten ihren Abonnenten versprochenen Leistung dar. Gerade für diese Empfehlungen zahlt der Bezieher des "Börsendienstes" in erster Linie den nicht geringen Bezugspreis. Dabei liegt die Besonderheit der Informationen in dem Umstand, dass sie zeitgebunden, d.h. nur innerhalb einer ganz eng begrenzten Frist sinnvoll verwertbar sind und alsbald nämlich dann, wenn der vom Herausgeber vermittelte Informationsvorsprung gegenüber anderen Anlageinteressenten nicht mehr besteht weitgehend wertlos sind. Gerade dadurch unterscheiden sich die in einem Börsendienst enthaltenen Empfehlungen von dem Inhalt anderer, an fortdauernden Sachverhalten orientierter Anleitungsbücher, - etwa einem Anleitungsbuch für die Errichtung von Nottestamenten, das dem Käufer allgemein und für die Dauer der bestehenden gesetzlichen Regelung die richtige' Erstellung eines derartigen Testaments ermöglichen soll und dessen Verkauf und Lieferung einschließlich der Haftung für Mängel der erkennende Senat ausschließlich nach den Bestimmungen des Kaufrechts gemessen hat (Senatsurteil vom 14. März 1973 - VIII ZR 137171 = WM 1973, 730, 731 = NJW 1973, 843, 844; vgl. auch Mezger aaO§ 459 Rdn. 15). [...] Es kann für die rechtliche Wertung eines vertraglich geschuldeten Börsentipps keinen entscheidenden Unterschied ausmachen, ob dieser - wie hier - in einem periodisch erscheinenden Druckwerk niedergelegt ist, oder ob der Interessent ihn auf andere Weise gegen Zahlung des vereinbarten Entgelt beim Informanten "abruft". [...] Nach Ansicht des Senats handelt es sich vielmehr bei der Verpflichtung zur Information über Anlagemöglichkeiten um eine - im Gesetz nur unvollkommen (§ 676 BGB) geregelte, im Rahmen der schuldrechtlichen Vertragsfreiheit (§ 305 BGB) jedoch mögliche - Übernahme einer entgeltlichen Beratungspflicht."

Und der BGH gab in jener Entscheidung einem Schadensersatzanspruch eines Abonnenten gegen den Herausgeber eines Börsendienstes wegen Verletzung vorgenannter Beratungspflichten statt, weil dieser eine Anlageempfehlung ohne gebotene Sorgfalt veröffentlicht hatte. Nichts anderes kann für Informationsdienste des freien Kapitalmarktes gelten. Durch die Rechtsprechung noch nicht entschieden ist, ob vergleichbares dort zu gelten hat, wo durch eine Negativberichterstattung über bestimmte Kapitalanlageprodukte in Kombination mit einer Positivberichterstattung für andere Kapitalanlageprodukte eine Lenkung beabsichtigt ist, die nicht auf sorgfältiger Recherche und Prüfung sondern auf anderen Gründen beruht. Und ungeklärt ist ferner, ob und inwieweit eine solche Haftung auch gegenüber Nichtabonnenten aufgrund der neuen §§ 311 Abs. 3 Satz 1, 241 Abs. 2 BGB denkbar ist.

Informationsdienste, die sich als Pflichtlektüre bezeichnen, haben folglich selbst Pflichten. Und verstoßen sie gegen solche Pflichten, dann kann dies zumindest haftungsrechtliche Folgen für den Verlag, Redakteuer bzw. Journalisten haben. Dass dann Verlag, Redakteuer bzw. Journalist aufgrund der aufgezeigten BGH-Rechtsprechung Abonnenten aus Schlechterfüllung des Abonnementsvertrages als einem Vertrag sui generis vergleichbar einem Anlageberater haften können, hat sich wohl noch nicht herumgesprochen, obwohl besagte BGH-Entscheidung aus dem Jahr 1978 stammt.

Wendet man den Blick von der "Pflichtlektüre" wieder zum "Informationsdienst", so wird deutlich, dass dieser Begriff etwas mit Dienstleistung zu tun hat. Mit Dienstleistung gegenüber dem Kunden (Abonnenten) hat es nichts zu tun, wenn Negativberichterstattung vornehmlich stattfindet, um in manchen Haftungs-Urteilen als Informationsdienst namentlich genannt zu werden und dies dann von einigen Informationsdiensten werbewirksam mit dem Hinweis verbunden, auch andere würden entsprechende Haftungsrisiken tragen, wenn der eigene Informationsdienst nicht gelesen/abonniert werde. Sehr wohl hat es aber mit Dienstleistung etwas zu tun, wenn ein Informationsdienst sorgfältig recherchierte und geprüfte Sachinformationen anbietet, mit denen seine Abonnenten als Entscheidungshilfe etwas anfangen können.

Klaus - R. Wagner